Wilhelm Zorichta

Wilhelm Zorichta

geboren am 31. Mai 1920 in Hindenburg (Oberschlesien) – Todesdatum unbekannt

Die Geschichte von Wilhelm Zorichta kann lediglich aus den Akten erzählt werden, die Behörden und Einrichtungen zu ihm angelegt haben und die heute in Archiven zu finden sind. Mit diesen Dokumenten lässt sich sein Lebensweg annähernd nachzeichnen. Was er jedoch erlebt hat, wie seine Sicht auf die Dinge war, bleibt verborgen.

Vom Heim ins KZ

Zu Beginn steht sein handgeschriebener Lebenslauf. Dieses Zeugnis ist das Persönlichste, was sich in den Akten finden lässt Der Text wirkt sehr förmlich. Wilhelm Zorichta verfasst ihn offenbar unter Zwang. Zu dieser Zeit, im Herbst 1943, ist er im Wanderhof Herzogsägmühle. Dorthin war er von der Polizei eingewiesen worden.

handgeschriebener Lebenslauf von Wilhelm Zorichta
Handgeschriebener Lebenslauf von Wilhelm Zorichta.
Quelle: Archiv Diakonie Herzogsägmühle

Der Lebenslauf des
Fürsorgezögling Wilhelm Zorichta

Ich, Wilhelm Zorichta von Hindenburg Kronprinzenstr. 94, geboren am 31. Mai 1920. Mit dem sechsten Lebensjahr ging ich zur Volksschule in Hindenburg. Mit Vierzehn Jahren wurde in aus der (?) 3. Schulklasse entlaßen. Mein Vater heißt Boris und ist am 4.10.1899 geboren ist von Beruf Schlosser. Meine Mutter heißt Julia und ist eine geborene Roskott(?), geboren ist sie am 12.4.1898. Mit 14 Jahren bin in die Fürsorgeanstalt Grottkau gekommen. Nach 3 Wochen bin ich wieder entlaßen worden. Dann bin ich 3 mal zum Bauern gekommen jedes mal ½ Jahr. Mit 18 Jahren bin ich wieder in die Erziehungsanstalt eingeliefert worden. Mit 19 Jahren wurde ich von der Erziehungsanstalt entlaßen. Dann bin ich als Bauarbeiter zur Arbeit gegangen. Am 9. November 1940 wurde ich ins Polizeigefängnis Hindenburg eingeliefert. Bis zum 20. Januar 1941. Am 20 Januar wurde ich nach dem Jugendschutzlager Moringen eingeliefert, Vom 30.1.1941 war ich im Jugendschutzlager bis zum 30.9.1943. Dann bin ich hierher gekommen.
Das ist mein ganzer Lebenslauf.

Wilhelm Zorichta

Bereits drei Jahre zuvor bezeichnete das Jugendamt Wilhelm Zorichta als »Vagabund«, der ein »verbummelter und arbeitsscheuer Mensch« sei. Dass er gelegentlich Arbeiten annimmt, scheint nicht auszureichen. Das Jugendamt seiner Heimatstadt spricht sich in dem gezeigten Schreiben für polizeiliche Maßnahmen aus, nachdem ihn das Heim mit 19 Jahren entlassen musste. Daraufhin weist die Polizei Wilhelm als »asozialen Minderjährigen« in das Jugend-KZ Moringen ein.

chreiben des Jugendamtes an die Kriminalpolizei, Hindenburg/Oberschlesien
23. Oktober 1940, Schreiben des Jugendamtes an die Kriminalpolizei, Hindenburg/Oberschlesien.
Quelle: Archiv Diakonie Herzogsägmühle

Der Oberbürgermeister der Stadt Hindenburg/ Oberschl. (Jugendamt)

An
die Kriminalpolizei
in Hindenburg Oberschl.

Mein Zeichen: 46.Z.1

Tag: 23.10.40

Der jugendliche Arbeiter Wilhelm Zorichta, geb. 31.5.1920 von hier, Kronprinzenstrasse 94, ist ein unverbesserlicher, verbummelter und arbeitsscheuer Mensch. Vom 20.6.1938 bis 27.5.1939 war er in der Erziehungsanstalt in Grottkau untergebracht. Die Fürsorgeerziehung war erforderlich, weil er jeder ihm zugewiesenen Beschäftigung aus dem Wege ging. Er bummelte herum und bildete eine Gefahr für die Kinder. Zorichta verleitete Kinder zum Rauchen und stellte unsittliche Anträge an sie. Nach der Entlassung aus der Erziehungsanstalt verfiel Zorichta in seine früheren Fehler. Eine ihm zugewiesene Arbeit in der Landwirtschaft hat er ohne Grund aufgegeben. Er verrichtete nur hin und wieder Gelegenheitsarbeiten. Einer geregelten Beschäftigung geht er nicht nach, sondern vagabundiert herum. Auf mein Ersuchen hin an das hiesige Arbeitsamt um Arbeitsvermittlung erhielt ich zur Antwort dass Zorichta auf wiederholte Vorladungen im Arbeitsamt nicht erschienen ist und somit keine Arbeit zugewiesen werden konnte. Da der Jugendliche das 20. Lebensjahr überschritten hat, hat das Jugendamt keine Möglichkeit, für ihn Erziehungsmassnahmen zu beantragen.
Ich bitte daher, gegen Zorichta von dort mit polizeilichen Massnahmen vorzugehen.

I.A.
gez. Unterschrift.

Sein Vater schreibt mehrfach nach Moringen und bittet um die Entlassung seines Sohnes. Er gibt an, dass er und seine Frau auf seine Hilfe angewiesen seien. Sie sind gehörlos und Wilhelm könne für sie übersetzen. Auch verbürgt er sich dafür, dass sein Sohn unter seiner Aufsicht ein »geordnetes Leben« führen würde. Doch die Bitten um Entlassung sind erfolglos. Wilhelm Zorichta bleibt weiter in Haft.

rief des Vater Boris Zorichta an die Leitung des Jugend-KZ Moringen
19. Mai 1942, Brief des Vater Boris Zorichta an die Leitung des Jugend-KZ Moringen.
Quelle: Archiv Diakonie Herzogsägmühle

Hindenburg, den 19.5.1942

An den
Führer des Jugendschutzlagers
in Moringen/Solling.

Mein Sohn Wilhelm Zorichta geboren am 31.5.1920, befindet sich seit 1 Jahr 4 Monaten in oben geführten Lager. Bezugnehmend meiner folgenden Begründung bitte ich um Freilassung meines Sohnes.

Begründung:

Ich als Vater sowie meine Frau sind taubstumm und bedarfen einer fremden Hilfe, d.h. muss heute alles mir von fremden Leuten einkaufen lassen. Es wäre angebracht meinen Sohn der der Sprache mächtig ist, und mir nach seiner Arbeit die Einkäufe besorgen könnte, diesen frei zulassen. Als Vater nehme ich laut Unterschrift die Ermächtigung dafür zu sorgen das er wieder einen geordnetes Leben führen muss. Ich bitte mir ein Zeugnis über die Führung meines Sohnes zu übersenden. Auf eine Wohlwollende Unterstützung meines Antrages zeichnet mit Deutschem Gruß.

Bruno Zorichta
Hindenburg
Kronprinzenstr. 94

In Jugend-Konzentrationslagern nehmen Mediziner/-innen Untersuchungen an den Jugendlichen vor und schreiben Gutachten. Ihr Ziel ist es, ein Archiv im Kriminalbiologischen Institut (KBI) aufzubauen. Die Wissenschaftler/-innen gehen davon aus, dass »Asozialität« erblich sei.

oben: Abschrift des Schreibens des Kriminalbiologischen Instituts an das Reichskriminalpolizeiamt. unten: Abschrift des Schreibens des RKPA zur Anordnung der polizeilichen planmäßigen Überwachung von Wilhelm Zorichta
18. August 1943, Abschrift des Schreibens des Kriminalbiologischen Instituts (KBI) an die Abteilung A3b des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) Berlin, und 4. September 1943, Abschrift des Schreibens des RKPA zur Anordnung der polizeilichen planmäßigen Überwachung von Wilhelm Zorichta.
Quelle: Yad Vashem, Dachauer Effekte

z. Zt. Moringen, 18.8.43

KB1.
An A 3b
Betrifft: Zorichta Wilhelm, geb.31.5.20.

Dem Vorschlag der Lagerleitung, den 23 jährigen Lagerzögling, Wilhelm Zorichta, der ausgemustert ist, zum Werkhof Herzogsägmühle zu überstellen, kann jetzt zugestimmt werden. Es sei auf meine Stellungnahme vom 8. Juni 42 verwiesen. Zorichta befand sich seit 1938 in Fürsorgeerziehung. Seine Eltern wohnen seit 10 Jahren in Hindenburg im Armenhaus. Der schwachsinnige Jugendliche wurde wegen hochgradiger Verwahrlosung vor 2 ½ Jahren ins Jugendschutzlager eingewiesen. Hier zeigte sich, dass er nur steter Obhut und Stütze, sowie geordneter Verhältnisse bedurfte, um sich straflos und einwandfrei zu führen.

Zorichta wird auch in Zukunft der Anleitung, der Aufsicht und des Antriebes bedürfen. Unter günstigen Umständen wird er sich dann weiter als brauchbarer Arbeiter erweisen. Sollte er in den freien Verhältnissen im Werkhof von neuem versagen, so wäre eine langdauernde Einweisung in ein Arbeitshaus ratsam.

gez. Dr. Ritter


Berlin, am 4. Sept. 1943

Reichskriminalpolizeiamt
Tgb. Nr. Jug. 509/40 A 3b

Anordnung der polizeilichen planmässigen Überwachung.

Der Wilhelm Zorichta, geb. am 31.5.20 in Hindenburg, ist am 1.10.43 aus dem Jugendschutzlager Moringen entlassen worden.

Zorichta wird dem Heimathof Herzogsägmühle i.B. überstellt. Er wird auf Grund des Erlasses des RuPrMdI.v.14.12.1927-S-Kr.3 Nr. 1682/37-2098 unter

polizeiliche planmäßige Überwachung

gestellt.

Ihm werden nachstehende Auflagen erteilt:
1.) der Heimordnung in jeder Beziehung Folge zu leisten,
2.) den Heimathof Herzogsägmühle ohne Erlaubnis nicht zu verlassen.

Im Auftrage:
gez. Wieking.

Ob der Blick eines Mediziners wie Robert Ritter oder der des Jugendamtes – immer urteilen andere Menschen über Wilhelm Zorichta. Sein ganzes Leben verbringt der 23-Jährige in Einrichtungen und Lagern. Wie es ihm geht, was ihn bewegt, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

Für die, die über seinen weiteren Lebensweg entscheiden, ist wichtig, ob er sich als »brauchbarer Arbeiter« eignet. Darum kommt Wilhelm Zorichta in den Wanderhof nach Herzogsägmühle. Obwohl ihn die Berichte auch »als gutmütiger Bursche« beschreiben, kommt er nicht frei.

Als er in Herzogsägmühle zweimal unerlaubt auf der dortigen Arbeitsstelle nicht erscheint, lässt ihn die Kriminalpolizei München im Frühjahr 1944 in das KZ Dachau bringen. Die Lagerverwaltung registriert ihn als »asozial« und weist ihm den schwarzen Winkel zu. Ein halbes Jahr später kommt Wilhelm Zorichta in das Außenlager Rabstein, das zum Lagerkomplex des KZ Flossenbürg gehört. In der Transportliste vom 3. September 1944 findet sich der letzte Eintrag seines Namens. Über das weitere Schicksal Wilhelm Zorichtas ist nichts bekannt.

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246. AZR RD.  24376   Zorichta Wilhelm 31.5.20 Hindenburg

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