Unter Kontrolle der Polizei
Staatliche Kriminalpolizei
Kriminalpolizeileitstelle
Köln, am 7. November 1941
Anordnung der polizeilichen planmäßigen Überwachung.
Die am 13. Februar 1919 in Köln
Kreis Köln, geborene berufslose (Dirne)
Anna Sölzer, wohnhaft in Köln, Friesenwall 18
Staatsangehörigkeit Reichsdeutsche, Religion (auch frühere) evangl.
ist wegen Übertretung der ihr als Sittendirne gemäß Erlaß vom 9.9.39 erteilten Auflagen
als Asoziale anzusehen.
Sie wird deshalb auf Grund des Erlasses des RuPrMdI. vom 14.12.1937 – Pol. S-Kr 3 Nr. 1682/37 – 2098 – unter polizeiliche planmäßige Überwachung gestellt.
Ihr werden nachstehende Verbote (Verpflichtungen) auferlegt:
- Verbot des Anwerbens von Männern zum Zwecke der Unzucht außerhalb der Wohnung oder der ihr bekanntgegebenen ausdrücklich zugelassenen Gaststätten.
- Verbot, sich zur Nachtzeit ohne polizeiliche Erlaubnis außerhalb der polizeilich gemeldeten Wohnung aufzuhalten. Als Nachtzeit gilt die Zeit im Sommer von 22 – 5 und im Winter von 22 – 6 Uhr. Als Wohnung gilt die Bordellwohnung. Die Ihnen erteilte Erlaubnis, daß Sie neben ihrer Bordellwohnung noch eine zweite Wohnung haben dürfen, wird hiermit zurückgezogen.
- Verbot der Unterhaltung jeglicher Beziehungen zu Personen, die wegen Zuhälterei bestraft sind oder im Verdacht der Zuhälterei stehen.
- Verpflichtung, jeden Wechsel des Wohn- oder Aufenthaltsortes – neben der Verpflichtung zur Befolgung der allgemeinen polizeilichen Meldevorschriften – innerhalb 24 Stunden der Kriminalpolizei mitzuteilten.
- Verpflichtung, die für eine ärztliche Überwachung gegebenen Weisungen pünktlich zu befolgen und
- Verpflichtung, Schutzmittel, die für die Verhinderung der
- Übertragung einer Geschlechtskrankheit geeignet sind, vorrätig zu halten.
I. V. Sommer
Alles, was uns über Anna Sölzer bekannt ist, steht in einer Akte, die die Kölner Kriminalpolizei anlegt. Sämtliche abgebildeten Dokumente sind dieser entnommen.
Anna Sölzer wird am 7. November 1941 von der Polizei in einer Pension, in der sie Freier empfing, festgenommen. In den Häusern der Kölner Altstadt rund um den Dom und Groß St. Martin müssen die Bewohnerinnen regelmäßige Polizeirazzien fürchten. Als Grund ihrer Festnahme führt Kriminaloberassistent Benecken an, Anna Sölzer sei in Wohnungen angetroffen worden, wo sie nicht gemeldet sei. Sie erhält eine Verwarnung und strengere Auflagen. Sollte sie diese nicht einhalten, würde Anna Sölzer endgültig in Haft genommen.
Köln, den 7.11.1941.
Bei der heutigen Kontrolle der Pension Ursulastr. 21 wurde dortselbst die Dirne Anna Sölzer, geb. 13.2.19 zu Köln, hier Friesenwall 18 polizeilich gemeldet, betroffen. Die S. war allein auf dem Zimmer, aus der Eintragung des Fremdenbuches ging jedoch hervor, daß sie dort mit dem aus dem beigefügten Fremdenzettel ersichtlichen Manne gewesen war. Eine Kontrolle des Untersuchungsscheines der G.B. ergab, daß sie schon am 6.11.41 zur Untersuchung bei der Gesundheitsbehörde hätte erschienen müssen.
Weiter wurde festgestellt, daß die S. seit 3.11.41 aus der hier gemeldeten Wohnung Friesenwall 18 fort ist. Nach eigenen Angaben steht sie seit 6.11.41 in dem Hause Kammachergasse 21 und ist in den Tagen vorher mit ihren Freiern angeblich in Häusern, die sie nicht näher bezeichnen kann, abgestiegen. Es besteht der dringende Verdacht, daß die S., entgegen den Anordnungen des Merkblattes, welches sie im Jannuar [sic!] 1941 erhielt, mit ihren Freiern in Hotels oder Pensionen genächtigt hat.
Erst im Mai dieses Jahres wurde die S. wegen eines Beischlafdiebstahls festgenommen und zu 4 Wochen Gefgs. verurteilt.
Bei der heutigen Kontrolle zeigte sich die S. sehr widerspenstig und konnte erst nach längeren Bemühungen zum Aufstehen und Mitgehen bewogen werden. Es dürfte angebracht erscheinen, auf Grund des Erlasses vom 9.9.39 Maßnahmen gegen die S. einzuleiten.
Benecken, KOA [=Kriminaloberkommissar].
Köln, den 7.11.1941.
17.K.
Urschriftlich
dem 15. K. durch K.V.
unter Zuführung der Sölzer mit der Bitte übersandt, der Sölzer
die im Erl. Vom 9.9.39 unter II Ziffer 1, 2, 4 und 6 bis 8 vorgeschriebenen Auflagen zu erteilen.
Feierabend
Sieben Monate später, im Juli 1942, nimmt die Polizei Anna Sölzer erneut fest und bringt sie ins Gefängnis. Nachdem sie dort eine Strafe wegen Diebstahls verbüßt hat, ordnet die Kripo am 27. Juli 1942 die »polizeiliche Vorbeugungshaft« an.
Anna Sölzer wird ein »widerspenstiges Benehmen« bescheinigt, sie habe trotz mehrfacher Warnungen immer wieder gegen die Auflagen verstoßen. Die Polizei geht nicht davon aus, dass sie ihr Verhalten ändern wird. In dem beigefügten »Erb- und lebensgeschichtlichen Fragebogen« ist zu lesen, dass ihre Eltern verstorben sind und Anna Sölzer ihre Kindheit und Jugend im Städtischen Waisenhaus verbracht hat.
Die Anordnung polizeilicher Vorbeugungshaft bedeutet Einweisung in ein Konzentrationslager. Einen Monat später wird Anna Sölzer aus dem Gefängnis in Köln in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Dort registriert sie die Lagerverwaltung unter der Nummer 13830 als Häftling.
Reichskriminalpolizeiamt
Tgb. Nr.: X 1446 A 2 b
Berlin, am 27. August 1942
An die
Staatliche Kriminalpolizei – Kriminalpolizei(leit)stelle
in Köln
Die Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft
gegen Anna Sölzer
13.2.1919 Köln geb. wird genehmigt.
Der Häftling ist mit dem nächsten Sammeltransport in das Konzentrationslager Ravensbrück zu überführen. Die Lagerleitung ist verständigt.
I.A.
gez. Böhlhoff
Das letzte Dokument in den Akten der Kriminalpolizei ist die Meldung ihres Todes. Es ist die Abschrift eines Funkspruchs aus dem Konzentrationslager Ravensbrück. Anna Sölzer stirbt kurz vor ihrem 26. Geburtstag.
Ob das Datum exakt ist und die Todesursache »Lungentuberkulose« stimmt, kann nicht überprüft werden. Wie es Anna Sölzer im Konzentrationslager ergangen ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Sicher ist aber, dass das KZ Ravensbrück in diesem Winter 1944/45 vollkommen überfüllt ist. Es grassieren Hunger und Epidemien; die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. In diesen Monaten dort zu überleben, grenzt an ein Wunder. Die Todesrate verdreifacht sich. Zwischen Dezember 1944 und März 1945 sterben monatlich über 1.000 Frauen – durch Verhungern, Erschöpfung, Krankheit, Terror und Mord.
Die Toten lässt die SS im Krematorium des Lagers verbrennen, ihre Asche und Knochenreste werden in den nahegelegenen Schwedtsee gekippt.
Geheime Staatspolizei – Staatspolizeileitstelle Düsseldorf
++ KL RAVENSZRUECK NR. 27 3.1.1945 2158 =1 )222 =
AN DIE KRIPTL. KOELN .- –
DRINGEND, SOFORT VORLEGEN .- – –
BETRIFTT: ANNA SOELZER, GEZ. 2 13.2.1919
KOELN .- – –
AKTENZEICHEN: 15. K. V. H. ROEM. 2 NR 83. – – –
DER VORSTEHEND ERWAEHNTE HAEFTLING IST AM 28.12.44
UM 16.00 UHR IM HIESIGEN KRANKENBAUQ VERSTORBEN .-
TODESURSACHE: LUNGENTU 34(7)9‘3 .- –
UNTER BEZUGNAHME AUF DEN BEFEHL DES RF – S-
ROEM. 4 C 2 ALLG. NR. 40454 VOM 21.5.42
WIRD GEBETEN, DIE ANGEHOERIGEN VON DEM ABLEBEN
DES HAEFTLINGS SOFORT IN KENTNIS ZU SETZEN UND IHNE
AUSSERDEM OCH FOLGENDES MITZUTEILEN: EINE
UEBERFUEHRUNG DER LEICHE ODER ERDBESTATTUNG KANN
Z. ZT. NICHT STATTFINDEN .1. 38,3 538),- .3
AN DER EINAESCHERUNG IST NICHT MOEGLICH. EINE
BESICHTIGUNG DER LEICHE IST AUF ANORDNUNG DES LAGERARZTES
AUS HYGIENISCHEN GRUENDEN NICHT MOEGLICH. DIE LEIIHE WIRD
SOFORT EINGEAESCHERT. ANGEHTERIGE SIND HIER ICHTQ
VERMERKTWCQ DEN EMPFAENGER DES NACHLASSES BITTE ICH
MITZUTEILEN .- –
DER LAGERKOMMANDANT GEZ.: SUHREN – STUBAF +